Krank
Ihr nennt mich krank, weil ich anders denke.
Ihr nennt mich krank, weil ich anders handle.
Ihr nennt mich krank, weil ich anders fühle.
Wisst ihr, wie ich denke?
Wisst ihr, wie ich handle?
Wisst ihr, wie ich fühle?
Ich denke meine eigene Wahrheit.
Ich handle, wie ich es für richtig halte.
Ich fühle den Schmerz, den ihr mir zufügt.
Mein Schmerz resultiert aus meinem Handeln.
Mein Handeln resultiert aus meiner Wahrheit.
Meine Wahrheit ist eure Krankheit.
27.03.10
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Kurzgeschichte: Was ist Glück?
Mephis erschauerte. Das tiefe Grollen des Donners, der über das Land hinweg rollte, jagte ihm immer wieder Schauer über den Rücken. Die Augen geschlossen stand er am Fenster. Die Klippen unter sich. Ja, es war wahrlich kein Fehler gewesen, die Burg oberhalb der Stadt zu beziehen.
Die Aussicht war einfach nur wundervoll.
Wie viele Vollmondnächte hatte er schon an jenem Fenster gestanden und stundenlang nur hinaus in den Himmel gestarrt, vollkommen überwältigt von der Schönheit des Mondes.
Das Gewitter schien näher zu kommen, denn die Abstände zwischen den Blitzen und dem Donner wurden immer geringer. Er konnte es kaum erwarten, dass das Unwetter über die Burg hinwegfegte.
Doch er sollte bald schon feststellen, dass er diesmal wohl enttäuscht würde, denn das Unwetter nahm einen anderen Weg. Seufzend öffnete er seine rubinroten Augen und blickte dem Gewitter wehmütig nach.
Die Wolken verzogen sich und allmählich wurde der Himmel klarer und klarer. Die Sterne tanzten förmlich am Himmel ihren fröhlichen Reigen, während der Dämon nur weiter aus dem alten Burgfenster starrte.
So viele Jahre lang hatte sich nichts, aber auch rein gar nichts geändert. Er liebte diese Burg, ebenso wie den Nachthimmel und die Wälder. Aber ebenso verabscheute er diese auch. Dieses Land, das sich nie veränderte, egal wie viel Zeit verging.
War dies der Preis, den er für die Unsterblichkeit zahlte?
Oder würde sich in seinem ewigen Leben irgendwann doch noch einmal etwas ändern?
Was war es, das er misste?
Hatte er denn nicht alles, was ein Mann sich wünschen konnte?
Er war reich, hatte viele Knechte und vor allem schöne Mägde.
Allein war er nie, es sei denn, er wünschte es.
Und dennoch fühlte er sich merkwürdig. Was war dieses Gefühl?
War das die Einsamkeit, von der die Menschen so furchtsam sprachen?
Aber er war doch ein uralter, mächtiger Dämon. Weshalb sollte er dieselben Gefühle, wie ein Mensch haben? Menschen waren dumme, törichte und schwache Tore. Mehr nicht.
Was wussten diese schon von Einsamkeit und Geborgenheit? Von Liebe und Hass?
Von all dem hatte Mephis in all den Jahren, Jahrhunderten, gar Jahrtausenden doch so viel gesehen. War er denn nicht erfahrener? Den Kopf schüttelnd, wandte er sich vom Fenster ab und liess sich auf einem der antik wirkenden Ledersessel nieder.
Noch ehe er sich versah, war er wieder aufgesprungen und aus dem Raum gerannt. Er stürmte die Treppe in die Eingangshalle hinunter, öffnete die schweren Tore in einem einzigen Stoss. Dann lief er.
Er lief und lief und lief. Ohne rechtes Ziel vor Augen. Bald schon hatte er den Wald erreicht, der die Burg schützend umgab. Instinktiv fand er den Weg, den die Boten stets nahmen. Es war der einzige Weg, der von der Stadt hinauf zur Burg führte.
Ein Wimmern riss den Dämonen jäh aus seinem Blutrausch. Woher kam dieses Geräusch?
Es war mitten in der Nacht! Wer würde um diese Zeit die Stadt verlassen?
Verwirrt und neugierig folgte der Dämon dem Wimmern. Zu seiner Überraschung gelangte er auf eine Lichtung im Wald. Die Sicht wurde ein wenig klarer, da das Licht der Sterne ihm nun ein wenig den Weg leuchten konnten.
„Wer bist du…?“
Erschrocken hob er den Kopf und griff an seinen Gürtel, an welchem er stets einen Dolch mit sich trug. Jedoch hielt er inne, als diese wispernde, von Trauer gequälte Stimme erneut sprach.
„Wer bist du?“
Diesmal etwas fester im Klang.
Mephis richtete sich wieder auf, jedoch entspannte er sich keineswegs. Solange der Dämon nicht wusste, wer dort zu ihm sprach, war es eine potenzielle Gefahr. Ob Mann oder Weib, das war gleich. Denn in dieser Zeit war das Wort eines Mannes ebenso viel Wert, wie die Treue einer Frau. Rein gar nichts. Ehre war vollkommen nutzlos geworden. Für die meisten ein Fremdbegriff.
Leben oder Sterben. Fressen oder Gefressen werden. In dieser Welt zählte das Recht des Stärkeren.
„Wer bist du? Wirst du mich verraten?“
Er zog die Augenbrauen zusammen. Wie sollte er jemanden verraten, den er nicht einmal sehen konnte? Und welchen Nutzen könnte er schon daraus ziehen?
Also legte er den Kopf ein wenig schief und zuckte kaum merklich mit den breiten Schultern.
„Nein, ich werde dich nicht verraten. Nun komm raus.“
Eine Weile herrschte Schweigen, dann hörte er ein letztes Mal das wimmernde Geräusch, gefolgt von Geraschel und einem Räuspern.
„Hier bin ich“, ertönte die Stimme wieder.
Unweit von ihm war nun tatsächlich ein Schatten aufgetaucht. Die Silhouette einer Frau. Das jedoch hatte er bereits an ihrer Stimme vernommen.
Fragen taten sich dem Dämonen auf. Warum war eine Frau nachts alleine im Wald? Weshalb hatte sie geweint? War sie womöglich eine jener armen Seelen, denen Ehre noch wirklich etwas wert war und deren Mann sie dafür verabscheute?
Mit einem kurzen Kopfschütteln warf er sämtliche Mutmassungen von sich.
„Was machst du hier?“, fragte der Dämon die Frau. Seine Stimme war zwar gedämpft, klang aber dennoch hart und kalt und herzlos.
„Ich warte auf den Tod“, antwortete die Frau. Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen, was Mephis jedoch nicht sehen konnte.
„Aber… Aber“ erneut brach die Frau wieder in Schluchzen aus. „Aber er hasst mich! Er will mich nicht!“
Dieser Ausruf verwirrte den Dämon.
Waren es denn nicht die Menschen gewesen, die von Unsterblichkeit predigten, weil sie diese so sehr anstrebten und doch nie bekamen?
„Oder… Oder bist du mein Todesengel? Wirst du mich auf die andere Seite geleiten? Bist du die gute Seele, die sich meiner annehmen wird?“
Mephis schüttelte den Kopf vor so viel menschlicher Dummheit. Ein Menschenleben war nun auch so schon nichts wert in seinen Augen. Es war so kurz. Warum also beenden? Es würde so oder so in vielleicht einem halben Jahrhundert enden, falls die Frau denn so alt werden würde.
„Nenn mir den Grund deines Wunsches, Weib. Warum sollte ich so gnädig sein, dein Leben zu nehmen?“
„Weil sich das Leben nicht lohnt. Was ist ein Leben ohne Liebe wert? Ein Leben ohne Zuneigung und Spass… Was ist es wert, wenn das Herz nur Kälte empfindet ? Warum soll ich leben, wenn ich doch sowieso schon tot bin?“
Ihre Antwort erschrickte den Dämon. Lange dachte er darüber nach, was die Frau gesagt hatte, während sie sich unauffällig näher schlich und ihn betrachtete.
Voller Faszination betrachtete die Frau die feine Narbe über seinem linken Auge, die silbrige Linie auf fast weisser Haut.
„Ich lebe auch…“, sprach Mephis. Leise murmelnd, mehr zu sich selbst, als zu der Frau, welche sich ein wenig darüber erschrocken hatte, als er plötzlich zu sprechen begann.
„Bist du glücklich?“, fragte sie ihn zurück.
„Glücklich? Ich habe alles, um glücklich sein zu können.“
„BIST du glücklich?“ Der Blick ihrer saphirfarbenen Augen durchbohrte ihn förmlich, während sie ihn anfunkelte und dazu ermahnte ehrlich zu sein. Zu ihr und zu sich selbst.
Der Dämon dachte wieder eine lange Zeit nach, ohne zu merken, dass die Nacht allmählich der Morgenröte wich.
„Weisst du denn, was Glück ist?“, fragte Mephis die Frau zurück.
„Ja. Das weiss ich.“
„Dann sage mir, was ist Glück? Wie fühlt es sich an?“
„Nun…“, begann die Frau und setzte sich ins feuchte Gras, direkt vor den Dämonen, „Glück lässt sich nicht kaufen und auch nicht erzwingen. Glück ist, Jemanden gefunden zu haben, der fühlt wie man selbst. Jemand, der das gleiche Schicksal teilt. Zu wissen, dass man nicht alleine auf dieser Welt ist. Das ist Glück.“
Verwirrt blickte Mephis auf die Frau herab. Wollte sie nicht eben noch sterben? Warum sprach sie nun so sehnsüchtig von Glück?
„Und woher weisst du, was Glück ist? Warum bist du dann nicht glücklich?“
„Doch, das bin ich.“
„Seit wann?“
„Seit gerade eben“, sagte sie und schenkte dem Dämonen ein warmes Lächeln.
„Warum?“, fragte er.
„Weil du bist, wie ich. Weil wir dasselbe Schicksal teilen.“